2012 05 05 01Für morgens sieben Uhr hatte der Heimatverein zur Frühwanderung in den Zossener Wiesengrund eingeladen. Karola Andrae begrüßte die über achtunddreißig wanderlustigen Frühaufsteher. „Bisher haben wir jährlich die Vogelstimmenwanderung durchgeführt. Diese begann noch Stunden früher. Jetzt haben wir uns für die Frühwanderung durch Geschichte und Natur entschlossen", so Frau Andrae in ihrer Begrüßung.

Jedoch wenn der Wanderführer Klaus Voeckler heißt, dann bleibt auch immer ein Stück Vogelstimmenwanderung. Frau Andrae eilte dann davon, um das Frühstück im Alten Krug vorzubereiten.

 Meinungen von Teilnehmern

Nach der Wanderung antworteten Teilnehmer auf die zwei Fragen, was sie denn zur Teilnahme bewogen habe und was für sie bei dieser Wanderung einen besonderen Eindruck hinterlassen hat:
Dörte Proß: „Ich lebe seit 15 Jahren in Zossen und wir bauen zurzeit im Wiesengrund. Ich wollte wissen was hier früher stattgefunden hat. Ich bin zwar Frühaufsteher, aber am frühen Morgen durch die Natur zu streifen und dabei noch so viel Interessantes zu erfahren, war für mich schon etwas Besonderes.

Ilse Ryczewski: „Seit 12 Jahren wohne ich im Wiesengrund, interessiere mich für Geschichte und habe auch die Bücher von Klaus Voeckler gelesen und einiges selbst erkundet. Heute wollte ich noch mehr erfahren. Das Besondere war für mich, dass einige ältere Zossener heute hier dabei waren, die hier aufgewachsen sind, noch aus eigener Kindheit bzw. von ihren Eltern und Großeltern viele Details über den Wiesengrund und seine Geschichte berichten konnten. Zusammen mit meinen eigenen Erkundungen, den Ausführungen von Klaus Voeckler ist bei mir aus Halbwahrheiten und Vermutungen ein abgerundetes Bild entstanden." 
Der Sohn Christoph Ryczewski: „Ich habe hier als Kind gewohnt und gespielt. Auch in den Tunnel sind wir gekrochen, jetzt wollte icheinfach mehr erfahren. Das Besondere war für mich, dass ich heute mehr über die Gebäude erfahren habe, die ich täglich sehe."
Sandra Dressler: Ich habe selbst 20 Jahre im Wiesengrund gewohnt, bin hier groß geworden. Besonders hat mich der Tunnelgang mit den Fledermäusen interessiert.

Die Wanderung

Treffpunkt war der Wiesengrund 1, der nordwestliche Rand des ehemaligen Industriegebietes. Hier entstand in der Gründerzeit nach 1870/71 die Zementfabrik der Adlerwerke. Die Rahmenbedingungen schienen günstig, nahezu 2012 05 05 03unerschöpfliche Tonvorkommen, der Nottekanal als Wasserverbindung nach Berlin. Auf dem Wasserweg wurden auf sogenannten Finowkähnen auch die Steinkohle und der Gips kostengünstig zur Fabrik transportiert. Ein Finowkahn durfte bis zu 40m lang und bis zu 4,20m breit sein. Nicht irgendein Zement wurde hier produziert, sondern Portland Zement. Dazu hatten sich die Fabrikanten das Verfahren aus Portland, Großbritannien zu Eigen gemacht. Mit den damals modernsten Maschinen produziert, erhielt der in Zossen produzierte Zement wegen seiner Qualität mehrere Auszeichnungen. Im Werk selbst arbeiteten auch Qualitätskontrolleure im Labor. Die Adler Werke kauften dann noch die Glausche Ziegelfabrik auf und bezogen ihren Kalk aus den eigenen Rüdersdorfer Kalkwerken. Möglichst autark
produzieren war das erklärte Ziel. Im Akkord wurde 24 Stunden, also rund um die Uhr in 12 Stundenschichten produziert. Dafür erhielten die Arbeiter einen Tageslohn von 3 Mark. Polnische Arbeiter waren in Schlafsälen untergebracht und 2012 05 05 04mussten dafür 5 Pfennig pro Tag entrichten. Um Tag und Nacht arbeiten zu können mussten viele Lampen brennen, deshalb brachten die Adler Werke auch Elektrizität nach Zossen. Die Stadt Zossen jedoch lehnte ein Angebot der Werke, ganz Zossen mit Elektrizität zu versorgen ab. So blieben die Zossener lieber noch einige Jahre bei der Petroleumfunzel.

Dies und vieles mehr erfuhren die Wanderfreunde von Klaus Voeckler. Wer den Wasserweg nutzt, brauch auch einen eigenen Hafen. Vorbei an den Resten des Ringofens, in dem jährlich ca. 1,5 Millionen Ziegel gebrannt wurden, durchstreifte die Gruppe Wildnis bis zum Stich, der für die Finowkähne eine Wendemöglichkeit bot. In dieser Wildnis und wegen der rasch fortschreitenden Verlandung mussten die Teilnehmer schon sehr genau hinsehen um die Überreste der ehemaligen Hafenanlage zu erkennen. Heute ist diese Wildnis auch ein Vogelparadies.2012 05 05 05
Nicht alle Wanderfreunde kannten den Eingang zum 2012 05 05 07unterirdischen Transportweg für den Ton an der B246. Hier sollen auch noch Fledermäuse leben. Der Ton von den Tongruben wurde so in das Werk befördert. 1910 endete die Gründerherrlichkeit. Die Tongruben erwiesen sich doch nicht als unerschöpflich und so wurde die Produktion aufgeben. Nach langen Verhandlungen kaufte die Stadt das Gelände und richtete hier Wohngelegenheiten für arme Familien ein. Viele von diesen wehrten sich gegen ihre missliche Lage und traten der SPD und später der KPD bei, weshalb dieser Teil Zossen von den anderen Zossenern verächtlich auch Kleinmoskau genannt wurde.

Die Wanderung erhielt nach Verlassen des Wiesengrundes plötzlich einen ganz anderen Charakter. 
2012 05 05 06Die Wanderer durchquerten jetzt das Naturschutzgebiet Streuobstwiesen. Auch Flora und Fauna zeigen sich hier von einer ganz anderen Seite. Klaus Voeckler wäre nicht Klaus Voeckler, wenn er nicht zu jedem Baum und Strauch der hier wächst oder über jedes Getier, was hier kreucht und fleucht oder in der Luft herumfliegt etwas zu sagen hätte.
Geschichte und Natur wurden so für jeden Teilnehmer auf einem kleinen Stück heimatlichen Bodens erlebbar.

2012 05 05 09Beim Frühstück im „Alten Krug" mundeten Brötchen und Bockwurst. Gesprächsfetzen wie, „War doch interessant", „schade dass einiges doch recht verkommen ist", „um Natur zu erleben, braucht man gar nicht weit reisen", „was der Voeckler so alles weiß, hoffentlich hat er auch alles aufgeschrieben", füllten den Raum.

Text und Fotos: Dr. Rainer Reinecke

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